Görlitzer Art 2021/2022
Die Skulpturen definieren Raum, den ich von außen intuitiv als Reihenhaus interpretiere. Eine Fiktion des Eigenen und abgeschlossenen wird hervorgerufen durch ordnende und strukturierende Linien. Die scharfkantige, reflektierende Edelstahlform grenzt ab, schließt aus und schneidet in die Landschaft ein.
Gedanken mit und zu die Häuser // Lukas Pfalzer
Skulptur im alten Stadtbad Görlitz, entworfen von Susanne Hopmann, umgesetzt in Zusammenarbeit mit Micha Krenz und Andreas Theile.
Ich schreibe diesen Text als Künstler. Ich bin der Arbeit zu verschiedenen Anlässen begegnet: während der Planungsphase der Skulptur sowie ihrer Umsetzung und Installation. In verschiedenen Situationen wurden Überlegungen gebildet, über die Dauer vertieft, aufgeladen mit persönlichen Interessen, kommuniziert, verworfen, transformiert.
Schön sie erkennen zu lernen
Die Häuser werden durch die Verknüpfung, die das Wort Haus mit einer spezifischen Form hat, zu Häusern. Dieser Erkennungsvorgang ist gebunden an ein Erkennen-Wollen. Die künstlerische Arbeit unterbricht und befragt das Erkennen und das Wollen. Was ist die Form, wenn sie nicht die Sache selbst ist?
Dieser spezifischen Form wohnt eine normative Kraft inne. Es ist das Haus der Familie. Die Familie braucht/will das Haus. Das Haus braucht die Kernfamilie: Vater, Mutter, Kind und Haus sind zusammen konstruiert (Hausfrau). Einfamilienhaus (Traum vom Eigenheim): In den westlichen Gesellschaften Motor der heteronormativen Sexualtechnologie*1 und Export-Ideologie.
„Natürlich sind es Häuser!“ Diese Erkenntnis folgt der gegenseitigen Codierung von Sprache und Form. Sie wird ermöglicht durch eine konkrete Positionierung (Zentralperspektive).
Dort ist das Haus, das sind Mutter, Kind und Vater. Perspektive und Sprache sind deckungsgleich (Abweichungen erzeugen Misstrauen). Das Zusammenspiel von Perspektive, Sprache, Objekten definiert Grenzen, die ganz natürlich erscheinen, als wären sie schon immer da gewesen.
Trete ich aus der Perspektive, werden die Häuser zu konkreten Skulpturen *2 (sie „verschwinden“ in Ort und Stelle). Trete ich aus der Zentralperspektive, verwirrt mich die Parallaxe
(die scheinbare Änderung der Position eines Objektes, wenn der Beobachter seine eigene Position durch eigene Bewegungen verändert). Die Lücke, welche die Parallaxe beschreibt, ist die Welt.
In der das Haus ein Auto oder ein Zelt ist, die Mutter ein Vater und so weiter in all den notwendigen Variationen.
Würde ich Die Häuser ergreifen um sie zu begreifen, käme ich auf andere Gedanken: Eine Waffe, ein Käfig, mein Kostüm, eine Stätte, wie kalt, wie warm, kein Ende, ein Puls.
Ich erkenne Häuser, ohne dass Häuser dort sind*3 . Sowie ich lerne das „alte Stadtbad Görlitz“ zu erkennen. Ein stillgelegtes Stadtbad, das ist als Beschreibung genauso hilfreich wie die Bezeichnung eines Körpers als Rentner („was bist du?“). Ich bin einmal dort ins Wasser gegangen, da wurde mir vollkommen klar: Das ist kein Stadtbad, stillgelegt ist es auch nicht, dort sind weder Häuser noch Skulpturen und ich, ich bin auch nicht da.
Die Kontemplation der Situation löst Grenzen und im selben Atemzug Lösen sich die Definitionen der vereinzelten Objekte, perspektivisch positioniert zum isolierten Subjekt. Stattdessen ist alles in Bewegung in der Landschaft.
Die Häuser sind keine Abstraktion von Häusern. Sie sind vor dem Gegenstand (temporal)*4. Die konkreten Skulpturen haben die Abstraktion selbst zum Gegenstand*5. Den Anfang von dem was wir heute mitunter Technologie nennen: Die Architektur (archi-tekton). Die Kartierung der Welt, die Erfindung von Innen und Außen, Besitz und Besetzung. Die Fragmentierung der lebendigen Welt in geometrische Formen: Durch die Fähigkeiten der Architektin Zeichnungen zu erstellen*6.
Was war die erste Zeichnung? Die Zeichnung an der Höhlenwand, im vorgefundenen Schutzraum. Bevor die Wände der Höhle übersetzt wurden. Die Zeichnung der Höhle als Wand an Wand an Wand an Wand. Die Grenze auf der Karte, die Wand im Nirgendwo. Die Zeichnungen in der Chauvet-Höhle in Südfrankreich zeigen Tiere. Lebendig und genau. Überlagernde Silhouetten schaffen bewegte Körper. Welche Zeichnungen finden wir heute in den Häusern der Menschen, oder wird die Zeichnung im Inneren obsolet anhand der Architektur gewordenen Zeichnung?
Die Fähigkeit Zeichnungen zu erstellen ist wie jede Technologie potenziell emanzipatorisch. Die Zeichnung, die Räume der Ermächtigung schaffen will, fragt: Wie können und wollen wir leben? Es reicht nicht zu fragen, ob wir aus dem Haus zurück in die Höhle wollen oder aus dem Haus in die Maschine. Die Zeichnung erfordert zu betrachten, inwiefern die Menschen selbst von Höhlen zu Häusern wurden und zu was sie heute werden.
*1 Siehe hierzu B. Preciado: Testo Junkie, b_books, Berlin. 2016
*2 https://www.mkk-ingolstadt.de/ueber-uns/was-ist-konkrete-kunst
*3 Da sind keine Häuser. Das Dort des Hauses besetzt den Ort, das Da von Die Häuser.
*4 Sie schreiben das Spiel der Differenzen in die bekannte Landschaft ein, entschreiben die bekannte Landschaft.
*5 Die konkrete Kunst arbeitet mit Veränderungen in der industriellen Produktion, die ästhetischen Produktion einwirken und auf die daraus resultierende veränderte ästhetische Wahrnehmung. Während die konkrete Kunst des vergangenen 20.Jhdts sich im Zuge der beschriebenen Transformation anhand von Mathematik und Geometrie versuchte von er sinnlichen Welt zu lösen, versuche ich die konkrete Kunst der Gegenwart, in der gleichen Bewegung, im Kontext einer digitalen und multimedialen Industrie wieder in der sinnlichen Welt zu verorten.
*6 Siehe hierzu Christop Feldtkeller: Architektur ( in: Ästhetische Grundbegriffe), 288 f, J.B.Metzler, Stuttgart. 2010
Material : Spiegelpoliertes Edelstahl
Vielen Herzlichen Dank an die Stadt Görlitz, der Projektleiterin Frau Thiemig von der Stadt Görlitz, der Gerüstbaufirma, dem Statiker Herr Bergmann, der Unteren Wasserbehörde, dem DLRG und der Kranlogistik, für die tolle Organisation und Durchführung des Aufbaus.
Besonderer Dank gilt Michael Krenz und Andreas Theile für die Umsetzung der Skulpturen aus spiegelpoliertem Edelstahl in dem Atelier von Michael Krenz in Halle Saale .